Nachrichtenprioritäten
Ein Beitrag von wvs hat mich auf etwas aufmerksam gemacht: Heute war das Topthema in der Tagesschau die nach langer Diskussion entschiedene "Torwartfrage".
Soweit so gut. Man stelle sich vor, wir steckten im Sommerloch (bei den aktuellen Temperaturen eine wirklich schöne Vorstellung) und die Nachrichtenredaktionen wären froh um jedes noch so unwichtige Thema. Doch dem ist nicht so. Ein Blick an die Elbe sollte jegliches Themenvakuum sofort füllen. Dort stehen ganze Landstriche samt Städte und Einwohner unter Wasser. Und doch war es heute nur noch das Zweitthema.
Was außerdem auffällt: Beim "Jahrhunterhochwasser" an der Elbe im Jahr 2002 war die Hilfsbereitschaft noch groß. Heute, im Jahr 2006, scheint das Thema sowohl in den Medien, als auch in unseren Köpfen weniger relevant zu sein.
Weshalb ist das so?
Man könnte zum einen natürlich annehmen, das Hochwasser dieses Jahr wäre weniger verheerend als 2002. Dies ist leider nicht der Fall, da in einigen Ortschaften der Pegel von damals bereits erreicht oder gar überschritten wurde. Zum anderen könnte man damit argumentieren, dass die anstehende Fußballweltmeisterschaft als Großereignis in ganz Deutschland eine wichtigere Rolle spielt. Doch was ist die Entscheidung um einen Torwartposten im Vergleich zum Verlust Hab und Guts tausender Menschen? So gefragt würde die Antwort durch alle Reihen gleich ausfallen. Aber weshalb war das Hochwasser dann kein Topthema?
Meiner Ansicht nach kommt dort ein psychologischer Effekt ins Spiel, den mein Professor für Technikfolgenabschätzung in seiner Vorlesung häufig angesprochen hat: Am ersten Tag einer Katastrophe ist das Aufsehen groß, während man sich jedoch als nicht direkt Betroffener sehr schnell an das Ges(ch)ehene gewöhnt. Man kann es deutlich daran erkennen wie, als die ersten Orte überflutet wurden, die Medien das Hochwasser als Topthema behandelten, obwohl im Vergleich zu 2002 das Ausmaß geringer war. Jetzt wo der Pegel von 2002 überschritten wurde sind jedoch schon einige Tage vergangen. Wir sind gegenüber den Bildern überfluteter Ortschaften und gebrochener Dämme teilweise abgestumpft. Somit rückt es langsam in den Hintergrund. Andere, "aktuellere" Themen treten nun in den Vordergrund. In diesem Fall die Torwartfrage.
Man konnte den Effekt auch sehr gut beim Erdbeben in Pakistan Anfang Oktober 2005 beobachten. Während in den ersten Tagen intensiv berichtet wurde, ist das Thema innerhalb kurzer Zeit in den Hintergrund und dann ganz aus dem Blickfeld geraten. Und das nicht etwa, weil das Leid der Menschen gelindert wurde, das Gegenteil war der Fall, sondern weil wir uns zu sehr an die Bilder gewöhnt haben und somit unser eigenes Interesse sank.
Dies soll keinesfalls eine Entschuldigung für die heutige Berichterstattung der Tagesschau sein. Ganz im Gegenteil. Gerade die Medien tragen eine große Verantwortung, indem sie Informationen filtern, aufbereiten, ihnen Prioritäten vergeben und uns dann anbieten. Sie sind es, die dafür Sorge tragen, dass ein wichtiges Thema, wie das Hochwasser ein erstrangiges Thema bleibt. Doch all zu oft verfallen auch die Medien dem angesprochenen Effekt. Sei es absichtlich der Quote wegen oder unabsichtlich, weil auch die Pogrammmacher bloß Menschen sind und für sie die psychologischen Regeln genauso gelten, wie für den Rest der Bevölkerung. Aber gefährlich ist sowas allemal, gerade in einer Zeit, in der die Medien, insbesondere das Fernsehen zur primären Informationsquelle geworden sind.
Nachtrag:
Eine interesante, nicht-nachrichtenmediale Sichtweise auf das Hochwasser habe ich bei morast im Blog entdeckt.
M.: